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Krypto-Imperialismus? Wie Blockchains alte Machtverhältnisse reproduzieren

 

Krypto-Imperialismus? Wie Blockchains alte Machtverhältnisse reproduzieren

Die Blockchain-Revolution sollte uns alle befreien. Dezentralisierung, finanzielle Inklusion, Macht zurück an das Volk, das waren die großen Versprechen. Doch während wir gebannt auf steigende Kurse starren, reproduziert die Krypto-Welt still und heimlich die gleichen Machtstrukturen, die sie eigentlich überwinden wollte. Willkommen im Zeitalter des digitalen Imperialismus.

Die neue digitale Kolonialisierung

Stell dir vor, du lebst in Nigeria, Kenia oder Brasilien. Du hörst von DeFi, NFTs und all den glänzenden Möglichkeiten der Blockchain. Du willst dabei sein, Teil dieser neuen Wirtschaft werden. Doch dann merkst du schnell: Die Regeln des Spiels wurden woanders geschrieben, die wichtigsten Protokolle laufen auf Servern in den USA, und die Gewinne fließen zu Investoren in Silicon Valley.

Das ist kein Zufall. Es ist das Ergebnis einer technologischen Machtkonzentration, die so subtil ist, dass sie fast unsichtbar bleibt. Während traditioneller Imperialismus mit Kanonen und Kolonien operierte, funktioniert Krypto-Imperialismus über Code und Protokolle.

Ethereum: Das neue Empire

Nehmen wir Ethereum als Paradebeispiel. Über 70% aller DeFi-Anwendungen laufen auf dieser Plattform. Die Ethereum Foundation sitzt in der Schweiz, die meisten Entwickler kommen aus Europa und Nordamerika, und die größten Mining-Pools waren lange in China und später in den USA konzentriert.

Wenn du als Entwickler in Lagos oder São Paulo eine DApp bauen willst, musst du dich den technischen Standards von Ethereum unterwerfen. Du zahlst Gas-Fees in ETH, einer Währung, deren Wert von westlichen Märkten bestimmt wird. Du bist abhängig von einer Infrastruktur, die du nicht kontrollierst.

Wie ich bereits in meinem Artikel über Ethereum vs Solana erklärt habe, dominieren wenige große Blockchains den Markt. Diese Konzentration schafft neue Abhängigkeiten.

Die Infrastruktur-Falle

Besonders perfide wird es bei der technischen Infrastruktur. Die meisten Blockchain-Nodes laufen auf Cloud-Servern von Amazon Web Services, Microsoft Azure oder Google Cloud. Allesamt US-amerikanische Unternehmen.

Ein konkretes Beispiel: Infura, einer der größten Ethereum-Node-Provider, gehört zu ConsenSys und hostet einen Großteil der Ethereum-Infrastruktur. Wenn Infura Probleme hat, bricht ein erheblicher Teil des Ethereum-Ökosystems zusammen. Das passierte bereits mehrmals.

Für Projekte im Globalen Süden bedeutet das: Sie sind nicht nur technologisch, sondern auch infrastrukturell abhängig von westlichen Unternehmen. Die versprochene Dezentralisierung entpuppt sich als neue Form der Zentralisierung.

Der Dollar bleibt König

Noch deutlicher wird der Krypto-Imperialismus bei den Stablecoins. USDT und USDC, die beiden größten Stablecoins, sind an den US-Dollar gekoppelt und werden von US-Unternehmen kontrolliert. Circle (USDC) und Tether (USDT) können jederzeit Adressen sperren oder Transaktionen blockieren.

In meinem Stablecoins-Artikel habe ich bereits die Risiken dieser Abhängigkeit beleuchtet. Länder wie Nigeria oder Indien, die ihre eigenen digitalen Währungen entwickeln wollen, stehen vor der Wahl: Entweder sie nutzen die dominierenden US-Stablecoins oder sie riskieren, von der globalen DeFi-Wirtschaft ausgeschlossen zu werden.

Code als Gesetz - wessen Gesetz?

"Code is Law" war einer der ersten Leitsätze der Blockchain-Bewegung. Doch wer schreibt diesen Code? Die Antwort ist ernüchternd: hauptsächlich westliche, männliche, gut ausgebildete Entwickler aus privilegierten Schichten.

Diese kulturelle und sozioökonomische Homogenität prägt die Werte und Annahmen, die in den Code eingebettet werden. Konzepte wie "finanzielle Freiheit" werden durch eine westliche, individualistische Brille betrachtet. Kollektive Eigentumsformen oder gemeinschaftliche Entscheidungsfindung, die in vielen Kulturen des Globalen Südens wichtig sind, finden sich selten in Blockchain-Protokollen wieder.

Die Mining-Wanderung: Vom Regen in die Traufe

Ein besonders zynisches Kapitel ist die Geschichte des Bitcoin-Minings. Als China das Mining verbot, jubelten viele über die "Dezentralisierung". Doch wohin wanderte die Hash-Power? Hauptsächlich in die USA und nach Kasachstan.

Die USA kontrollierten zeitweise über 50% der globalen Bitcoin-Hash-Rate. Ein Land, das andere für ihre autoritären Tendenzen kritisiert, hatte plötzlich die Mehrheit der Mining-Macht über das "dezentrale" Bitcoin-Netzwerk.

Für Länder im Globalen Süden mit günstiger Energie wäre Mining theoretisch attraktiv. Doch die hohen Investitionskosten für moderne ASIC-Miner, die hauptsächlich von wenigen chinesischen Herstellern stammen, schaffen hohe Eintrittsbarrieren.

DeFi: Dezentral in der Theorie, imperial in der Praxis

Das Beispiel DeFi zeigt besonders deutlich, wie sich alte Machtstrukturen in neuer Form manifestieren. Die wichtigsten DeFi-Protokolle wie Uniswap, Compound oder Aave wurden von Teams aus den USA oder Europa entwickelt und werden von Investoren aus diesen Regionen finanziert.

Die Governance-Token dieser Protokolle sind extrem ungleich verteilt. Oft halten wenige Wallets die Mehrheit der Stimmrechte. Diese "Wale" sind typischerweise frühe Investoren, Gründer oder Venture-Capital-Firmen aus dem Westen.

Wenn du als kleiner Nutzer aus dem Globalen Süden an DeFi teilnimmst, hast du praktisch keine Mitsprache bei wichtigen Entscheidungen. Du nutzt die Protokolle, zahlst die Gebühren, aber die strategischen Entscheidungen treffen andere.

Layer 2: Lösung oder neue Abhängigkeit?

Layer 2-Lösungen wie Arbitrum oder Optimism werden oft als Lösung für hohe Gebühren und schlechte Skalierbarkeit gepriesen. Doch sie schaffen neue Abhängigkeiten.

Diese Layer 2-Netzwerke werden von privaten Unternehmen betrieben, meist mit Sitz in den USA oder Europa. Sie können theoretisch Transaktionen zensieren oder den Zugang beschränken. Für Nutzer im Globalen Süden, die auf günstige Transaktionskosten angewiesen sind, entsteht eine weitere Abhängigkeitsschicht.

Die Venture Capital Kolonisierung

Venture Capital spielt eine zentrale Rolle im Krypto-Imperialismus. US-amerikanische VCs wie Andreessen Horowitz, Sequoia oder Paradigm finanzieren die wichtigsten Blockchain-Projekte. Sie bestimmen, welche Technologien entwickelt werden und welche Standards sich durchsetzen.

Diese VCs investieren bevorzugt in Teams aus ihrem eigenen Netzwerk - meist Stanford- oder MIT-Absolventen mit den richtigen Connections. Brillante Entwickler aus Lagos, Nairobi oder Manila haben deutlich schlechtere Chancen auf Finanzierung.

Das Ergebnis: Die wichtigsten Blockchain-Innovationen entstehen in wenigen Hotspots der westlichen Welt, während der Rest der Welt als Konsument und Gebührenzahler fungiert.

Regulatorische Hegemonie

Noch subtiler, aber nicht weniger mächtig ist die regulatorische Dimension. Die USA nutzen ihre Position als größter Finanzmarkt der Welt, um de facto globale Standards zu setzen. Wenn die SEC ein Krypto-Projekt als Security einstuft, hat das weltweite Auswirkungen.

Europäische Regulierungen wie MiCA werden als "progressiv" gefeiert, aber auch sie werden hauptsächlich von und für westliche Märkte entwickelt. Länder im Globalen Süden müssen sich diesen Standards unterwerfen, wenn sie nicht vom globalen Krypto-Markt ausgeschlossen werden wollen.

Bildung und Wissen als Machtinstrument

Auch beim Thema Bildung in der Blockchain zeigen sich imperialistische Strukturen. Die wichtigsten Bildungsressourcen, Konferenzen und Zertifizierungsprogramme stammen aus dem Westen und werden auf Englisch angeboten.

Wer mitreden will in der Krypto-Welt, muss westliche Bildungsstandards und Denkweisen übernehmen. Lokales Wissen und alternative Ansätze werden marginalisiert oder ignoriert.

Die Illusion der finanziellen Inklusion

Krypto-Enthusiasten predigen gerne finanzielle Inklusion. Endlich können auch Menschen ohne Bankverbindung am globalen Finanzsystem teilnehmen! Die Realität ist komplizierter.

Zwar können Menschen in Ländern mit schwachen Bankensystemen über ihr Smartphone auf DeFi zugreifen. Doch sie werden zu Gebührenzahlern in einem System, das sie nicht mitgestalten können. Sie nutzen Protokolle, die ihre spezifischen Bedürfnisse und Kulturen nicht berücksichtigen.

Gibt es Alternativen?

Die Situation ist nicht hoffnungslos. Es gibt durchaus Projekte, die versuchen, echte Alternativen zu schaffen:

  • Lokale Blockchain-Initiativen: Länder wie El Salvador (mit Bitcoin) oder die Zentralafrikanische Republik experimentieren mit eigenen Krypto-Strategien
  • Regionale Stablecoins: Projekte wie der geplante afrikanische eNaira oder südamerikanische Peso-Stablecoins
  • Community-getriebene Projekte: DAOs und genossenschaftliche Strukturen bieten Alternativen zu VC-finanzierten Projekten

Der Widerstand formiert sich

Immer mehr Stimmen aus dem Globalen Süden fordern echte Dezentralisierung. Entwickler-Communities in Afrika, Asien und Lateinamerika arbeiten an lokalen Lösungen. Sie verstehen: Technologische Souveränität ist genauso wichtig wie politische Souveränität.

Initiativen wie ReFi (Regenerative Finance) versuchen, alternative Wirtschaftsmodelle in die Blockchain zu integrieren. Sie betonen Nachhaltigkeit und Gemeinschaftsnutzen statt Maximalprofit.

Was können wir tun?

Als Krypto-Nutzer und -Investoren haben wir die Wahl. Wir können:

  1. Bewusst diversifizieren: Nicht nur in westliche Projekte investieren, sondern auch lokale Alternativen unterstützen
  2. Kritisch hinterfragen: Bei jedem Projekt fragen, wer profitiert und wer die Macht hat
  3. Bildung fördern: Krypto-Wissen in lokalen Sprachen und kulturellen Kontexten weitergeben
  4. Alternative Infrastrukturen nutzen: Dezentrale Node-Netzwerke statt zentralisierter Services

Für deine ersten Schritte in eine bewusstere Krypto-Nutzung brauchst du die richtige Ausrüstung. Hier findest du empfohlene Hardware-Wallets für mehr Selbstbestimmung:

Links zu Kryptowallets:

Wenn du aktiv handeln möchtest, sind dezentralere Exchanges eine Option:

  • KuCoin bietet Zugang zu vielen alternativen Projekten
  • Bitcoin.de für den deutschen Markt
  • Binance für globalen Zugang

Die Zukunft liegt in unseren Händen

Der Krypto-Imperialismus ist real, aber er ist nicht unausweichlich. Die gleiche Technologie, die heute Machtverhältnisse reproduziert, kann morgen echte Dezentralisierung ermöglichen. Es liegt an uns allen - Entwicklern, Investoren, Nutzern - diese Zukunft zu gestalten.

Wie ich in meinem Artikel über Peer-to-Peer zu Power to the People geschrieben habe: Die ursprüngliche Vision der Blockchain ist noch nicht verloren. Aber wir müssen aktiv dafür kämpfen, dass aus technologischer Innovation echte gesellschaftliche Transformation wird.

Die Blockchain kann uns befreien, aber nur, wenn wir nicht zulassen, dass sie uns in neue Ketten legt. Die Wahl liegt bei uns.


Du willst mehr über nachhaltige und faire Krypto-Strategien erfahren? Dann lies auch meine Artikel über solidarisches Investieren und digitale Gewerkschaften.

Für die steuerliche Seite deiner Krypto-Aktivitäten findest du Tools wie Cointracker oder Koinly hilfreich, gerade bei bewusst diversifizierten Portfolios wird das Tracking wichtiger.

Hinweis: Dieser Artikel dient ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Kryptowährungen sind volatile Anlagen mit hohem Risiko.

Links zu weiteren Artikeln aus dieser Serie:

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